Ein Kommentar zum neuen Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.11.2014 zur Bedeutung der Floskel "zur vollen Zufriedenheit"

 

Das Bundesarbeitsgericht hat am 18.11.2014 geurteilt:
"Bescheinigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis unter Verwendung der Zufriedenheitsskala, die ihm übertragenen Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit“ erfüllt zu haben, erteilt er in Anlehnung an das Schulnotensystem die Note „befriedigend“. Beansprucht der Arbeitnehmer eine bessere Schlussbeurteilung, muss er im Zeugnisrechtsstreit entsprechende Leistungen vortragen und gegebenenfalls beweisen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute („stets zur vollen Zufriedenheit“) oder sehr gute („stets zur vollsten Zufriedenheit“) Endnoten vergeben werden."
Das Urteil ist hier einsehbar: http://www.bag-urteil.com/18-11-2014-9-azr-584-13/

Mit diesem Urteil ging ein Ruck durch die Arbeitswelt! Die berechtigte Frage war: Wenn Arbeitnehmern im Zeugnis mehrheitlich "überdurchschnittliche" Leistungen bescheinigt werden, wer bildet dann den "Durchschnitt" im Mittelfeld? Oder anders gefragt: Wenn immer mehr Wettkämpfer auf das Siegertreppchen drängen und auch durchgelassen werden, muss das Treppchen dann breiter werden?

Es ist verständlich, dass Arbeitnehmer, deren Leistungen mit der Note 3 bewertet werden, hiermit unzufrieden sind. Denn ihnen wird bescheinigt, dass ihre Leistungen "nicht sehr gut und auch nicht gut" waren. Grundsätzlich gilt jedoch für die Benotung in Arbeitszeugnissen das gleiche wie in Schulzeugnissen: Sie erfolgt nach dem Verhältnisprinzip. Die kleine Gruppe der Besten erhält die Note 1, die kleine Gruppe der Schlechtesten die Note 5. Die Besseren im breiten Mittelfeld erhalten die Note 2, die schlechteren die Note 4. Wer relativ genau im Mittelfeld liegt, erhält die Note 3. Weniger relevant ist dabei das Leistungsniveau in anderen Gruppen (bzw. Unternehmen), denn hierfür fehlt im Arbeitsleben die Möglichkeit des direkten Vergleichs.

Soviel zur Ausgangslage der Notengebung. Nun sind in den vergangenen Dekaden die Noten in Arbeitszeugnissen im Durchschnitt immer besser geworden. Unsere Studien zur Zeugnissprache zeigen aktuell folgende Verteilung:

Note 1: ca. 40%
Note 2: ca. 37%
Note 3: ca. 20%
Note 4: ca. 3%
Note 5: ca. 0,2%

Das Verhältnisprinzip hat also ein stückweit aus der Balance geraten. Diese Entwicklung hat folgende Gründe:

  • Manche Arbeitgeber überbewerten die Wohlwollenspflicht, die in der Praxis bekannter ist als der Wahrheitsgrundsatz (mehr dazu hier).
  • Manche Arbeitgeber sind konfliktscheu und wollen Diskussionen oder Streit vermeiden, die ihnen keinen Nutzen bringen.
  • Nicht wenige Personalverantwortliche wollen sich innerhalb einer flachen, von freundschaftlichem Umgang geprägten Hierarchie nicht über einen Zeugnisempfänger erheben und betrachten eine Zeugnisurkunde daher eher vorausschauend als hilfreiches Empfehlungsschreiben, nicht rückblickend als authentische Leistungsbewertung.
  • Wenn Unternehmen sich von Mitarbeitern trennen möchten, die Gründe aber für eine Kündigung nicht ausreichen, wird bei den Verhandlungen über eine einvernehmliche Trennung mit Abfindungsregelung von Arbeitnehmerseite oft ein positives Arbeitszeugnis gefordert. An diesem kostenfreien Zugeständnis wollen Unternehmen die Trennung nicht scheitern lassen.
  • Wenn Arbeitnehmern wegen Auftragsmangel oder zwecks Rationalisierung betriebsbedingt gekündigt werden muss, wird bei dieser Sachlage ein wohlwollendes Zeugnis (sog. Gefälligkeitszeugnis) oft als das Mindeste gesehen, was man für Arbeitnehmer tun kann, damit sie rasch eine neue Anstellung finden.

Zudem haben unsere Untersuchungen ergeben, dass der Grad des Wohlwollens, den Arbeitgeber bei der Zeugnisschreibung aufbringen, sich je nach Berufsgruppe deutlich unterscheidet. So erhalten zum Beispiel nur 10 % aller Altenpfleger/-innen ein Einserzeugnis, während sich jeder dritte Beschäftigte im Beruf Sozialpädagoge/-in (35%) über eine sehr gute Bewertung freuen kann. Eine maßgebliche Bedeutung haben hierbei nicht selten die hierarchischen Strukturen: Vorgesetzte, die mit ständigem Nachdruck sehr hohe Leistungen einfordern, scheinen sich selbst noch beim Ausscheiden von Arbeitnehmern mit Lob und Anerkennung schwer tun. Innerhalb der jeweiligen Branche ist dies natürlich bekannt. Ein befriedigendes Zeugnis im Beruf Altenpfleger/-in wird aus den genannten Gründen von Lesern im Rahmen der Bewerberauswahl somit wohlwollender betrachtet als ein Dreier-Zeugnis von Sozialpädagogen.

Fazit: Die wichtige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes rückt die Verschiebung des "Durchschnitts" der Zeugnisnoten ein stückweit zurecht und das breite Medienecho zeigt, dass der Ruck bereits in der Arbeitswelt angekommen ist. Vielen Beteiligten ist nun bewusster geworden, dass ein "zu gut" gemeintes Arbeitszeugnis zu Lasten derer geht, die ehrliche und authentische Zeugnisse erhalten. Zudem bestätigt das Urteil die bisher gängige Praxis der Beweislast: Arbeitnehmer sind nach § 243 Abs. 1 BGB verpflichtet, eine zumindest durchschnittliche Leistung zu erbringen. Dies wird in Arbeitszeugnissen bisher mit der Gesamtnote 3 ("zur vollen Zufriedenheit") bescheinigt, der mittleren von 5 möglichen Noten. Wenn ein Arbeitnehmer ein Zeugnis der Note 3 erhält, aber der Ansicht ist, dass er besser als der Durchschnitt (seiner Kolleginnen und Kollegen) ist, muss er dies nachweisen (z.B. durch interne Beurteilungen, Zeugenaussagen, Belobigungen, Kennzahlen usw.). Wenn ein Arbeitnehmer mit der Note 4 oder 5 bewertet wird, muss hingegen der Arbeitgeber nachweisen, dass der Arbeitnehmer seine Verantwortung, eine zumindest durchschnittliche Leistung zu erbringen, nicht erfüllt hat.

Klaus Schiller, arbeitszeugnis.de

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